Spotify: Kein Geld für deine Musi

Update 2024 03 08:
In weiterführenden Diskussionen konnte ich in Erfahrung bringen, dass die Angelegenheit mit den Servicegebühren nicht einheitlich und sehr intransparent geregelt ist. Dieser Aspekt müsste also neu betrachtet und bewertet werden, was aber an der Kernaussage des Artikels nichts ändert: wenn ich an der Arbeit anderer verdiene und diese nicht daran beteilige, handelt es sich meiner Meinung nach um Diebstahl.


Spotify hat sich einen Staubsauer für die Streaming-Krümel gekauft und die Indies zahlen dafür. Wie KünstlerInnen vom Honorarempfänger zum Servicezahler werden.

Spotify war von Anfang an eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Einerseits ein technisch hervorragendes Produkt mit hoher Nutzbarkeit für die AnwenderInnen, andererseits aber leider dreiste Ausbeutung all derer, die die Inhalte liefern, ohne die das Produkt nur eine gut gebaute, aber leere Pipeline gewesen wäre.

Und die Mauer bezahlt Mexiko
Die von Spotify zum Jahreswechsel eingeführte  „1000 Streams Lösung“ zeigt nun einen weiteren unappetitlichen Aspekt der Angelegenheit. Es soll nun nur noch ab 1000 Streams (pro Jahr und Track) ausbezahlt werden, alles darunter wandert in Budget-Töpfe, die Spotify „Artists mit Potenzial“ widmen will. Wer das sein soll, ist allerdings unklar. Und die Service-Gebühren zahlen alle KünstlerInnen weiter, auch wenn pro Track und Jahr nur 999 Streams geschafft werden. Diese mangelnde Fairness seitens Spotify gegenüber ihren Lieferanten außerhalb der Mit-Eigentümer wie zB Sony Music, Universal Music und Warner Music, ist verblüffend frech und neoliberalistischer Endzeit-Kapitalismus der übelsten Sorte. Es ist als ob zum eigenen Keller-Gig nur 99 statt 100 Leute kommen und der Betreiber meint, sorry, leider keine 100 Leute, das Geld bekommt Taylor Swift. Die Unkosten für die Veranstaltung überweise mir dann bitte, danke, ciao.

Ein nicht genannt werden wollender Szene-Insider beschreibt die Situation „Bisher gab es für die kleinen Labels die Krümel, die vom Tisch der Großen gefallen sind. Nun hat sich Spotify einen Handstaubsauger für die Krümel gekauft und verrechnet die Betriebskosten den Kleinen.“

Laut einer Petition von Change.org werden so in etwa 40 Millionen USD eingesammelt, die nicht an die KünstlerInnen ausbezahlt werden, die diese Umsätze mit ihrem Content generieren.

Schon 2015 wies Goeff Barrow, Kopf der Band Portishead, deutlich auf die ausbeuterische Natur des Dienstes hin und gab bekannt, für  34 Million Streams  lediglich $2,500 erhalten zu haben. Im Vergleich dazu hätte er auch bei einem ungünstigen Vertrag für Downloads in etwa 340.000,- € bekommen (dabei angenommen, dass jeder Download für mindestens 10 Streams steht und jeder Download mit maximal 10 Cent abgegolten wird). Hier soll jedoch nicht nostalgisch über die gute alte Zeit von vor gerade mal zehn Jahren lamentiert werden. Es ist nämlich nicht so, dass es der Industrie irgendwie schlecht gehen und sie dringend Kapital benötigen würde. Betrachtet man die absoluten Zahlen, wird die Schieflage zwischen Produzenten und Verwertern noch deutlicher: 31,2 Milliarden USD betrug die Global Music Revenue in 2022, ein absoluter Spitzenwert und mehr als das doppelte von 2014 mit 14,2 Mrd USD. Hier enthalten sind außer Music Sales aber auch Performance Rights und Sync Rights. Zusätzliche Jubelmeldungen spitzen die Situation für die KünstlerInnen weiter zu : So hat der deutsche Streaming-Markt mittlerweile zweistellige jährliche Zuwachsraten. Innerhalb von fünf Jahren hat sich der Wert mehr als verdoppelt und betrug 2023 absolut beachtliche 212,7 Milliarden Streams.

Spotifys Dudlmutanten vs echte KünsterInnen
Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlicher Realitäten muss man die unzureichende Entlohnung besonders kritisch betrachten und die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen wie Spotify in der Musikindustrie deutlich zur Sprache bringen. Musik ist nicht nur ein Wirtschaftszweig, sondern auch und vor allem ein kulturelles Gut. Die 1000-Streams-Lösung wird einerseits dazu führen, dass KünstlerInnen ihre künstlerische Integrität opfern, um den Anforderungen des Algorithmus gerecht zu werden und andererseits eine neue Generation von Semi-KünstlerInnen auf den Plan bringen, die weitgehend ohne Integrität auskommen. Schon jetzt ist die Rede von Inhouse Artists der an Spotify beteiligten Major Labels, die extra für den Algorithmus konzipiert werden. Das ist absolut kein neues Konzept, die Hersteller der ersten serienreifen Plattenspielern ab den 1930ern brachten auch eigene Veröffentlichungen auf eigenen Labels heraus – mit wechselhafter Qualität. Durchgehend auch künstlerisch relevante Kataloge zu entwickeln gelang aber wohl eher nicht. Bei Spotify kann man ausgehend von der aktuellen Situation also eher das Äquivalent des  1€ Drive-In-Cheeseburger erwarten. Und von KI-generierten Songs reden wir hier noch gar nicht.

Diese Art von Schema-Musik und der Zwang zur Anpassung an kommerzielle Normen könnte langfristig zu einer zu starken Vereinheitlichung der Musiklandschaft nach rein kommerziellen Kriterien führen, in der innovative Genres und Künstler vernachlässigt oder sogar erdrückt werden, weil es immer schwieriger wird, den Break Even zu erreichen.
Spotify könnte sich mit einem derartigen Mutantenprogramm aber auch in diesem Schema verlieren, zur reinen Fast Music-Plattform verkommen und infolgedessen mangels künstlerischem Nährwert massiv an Bedeutung verlieren. Das schließt zwar eine gewisse Marktstellung nicht aus, aber diese wäre dann rein über niedrige Einstiegsschwellen und Niedrigpreisstrategien definiert und würde jede Art von Diversifikation in Richtung Premium ausschließen, dem ewigen Knüller des Sales Marketings.

Raiders of the lost art
Wenn aber KonsumentInnen das Angebot gar nicht mehr als echte Musik im eigentlichen Sinn wahrnehmen und eine Suche nach „echter Musik“ einsetzt, könnte das eine neue Wendung in dieser Geschichte mit sich bringen. Gezielte Auswahl und der Konsum bestimmter, ausgewählter Musik über bestimmte, ausgewählte Kanäle könnten der Musik wieder den identitätsstiftenden Charakter verleihen, den sie verdient. Die marktdominierende Rolle von Spotify macht den Service jedenfalls zum wichtigen kulturellen Gatekeeper. Beginnt nun eine Phase der hauseigenen Dudl-Mutanten auf Spotify, bedeutet das sicherlich eine Gefährdung der musikalischen Vielfalt, vor allem für alle Akteure, für die Music Sales einen integralen Bestandteil ihres Incomes darstellen.

Vielleicht ist die Situation aber auch der längst fällige Weckruf für Musiklabels und KünstlerInnen. Die Hoffnung auf neue Gesetze oder Regelwerke schwindet zusehends und KünstlerInnen sehen sich gezwungen, alternative Einnahmequellen zu suchen. Die Politik in Form des EU-Parlaments wurde zwar bereits auf die Situation aufmerksam, aber außer Diskussionsbeiträgen und Pressemitteilungen ist hier bisher noch nicht viel spürbares passiert oder ist noch zu erwarten.

Spotify ist ein Segen für die UserInnen, aber ein Fluch für die ProduzentInnen. Aber das muss nicht so bleiben: kann man Spotify als neue Technologie wie einst die CD oder davor die MC begreifen? Leider ist der Stream nicht einfach eine weitere Tonträger-Variante, sondern der Marktplatz selbst. Aber auch Marktplätze kann es mehrere geben, und sogar sehr viele, sobald der Source Code Open Source oder zumindest leistbar wird. So lange aber automatisch alle weltweit produzierte Musik automatisch und ungeregelt in den Schlund von Spotify geworfen wird, wird selbige immer schneller in der Bedeutungslosigkeit verschwinden – und vielleicht sogar vom Einkommens- zum Kostenfaktor werden.

– Eine englische Fassung dieses Texts ist hier zu finden:
www.blankton.org/spotify-no-money-for-your-music

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