KI in der Musik, Teil 1: Produktion – Meta-Stars, Prompter-Divas und neue Musikschaffende

KI in der Musik, Teil 1: Produktion
Meta-Stars, Prompter-Divas und neue Musikschaffende

Die Musikbranche erlebt gerade einen gewaltigen Umbruch, vielleicht sogar ihren massivsten seit Einführung der Tonträger. Diesmal allerdings schneller und weitreichender als je zuvor. Künstliche Intelligenz ist keine neue Technologie, die langsam eingeführt wird, sie greift in den laufenden Betrieb ein, und verändert alles. KI-generierte Musik ist praktisch nicht mehr von klassisch produzierter Musik zu unterscheiden, auch für Profis.

KI wird die Rollen in der Musikwirtschaft deutlich verändern, manche obsolet machen, andere neu schaffen und einige bestehende verändern. Aber bevor aus dem Chaos des Anfangs neue Strukturen entstehen, wird es erstmals schmerzhafte Einschnitte geben – vor allem für jene, die seit Jahrzehnten das Rückgrat des Musikbetriebs bilden: die Menschen, die Musik machen, aufnehmen, unterrichten, komponieren, arrangieren, kurz: dafür sorgen, dass Musik überhaupt existiert, bevor sie im Stream, auf Tonträgern, in Radios und Venues landet.

Pessimismus ist fast immer ein schlechter Berater. Wer sich schleunigst mit den neuen Möglichkeiten vertraut macht, wird auch in der neuen Musik-KI-Wirtschaft reüssieren können.

Smells like machine spirit

Diese elektronische Musik, das ist ja keine richtige Musik, da drückt man nur auf ein paar Knöpfe und der Song ist fertig. So erklärte mir das mein Musiklehrer anno 1984, als er in der Pause Depeche Mode aus meinem Kassettenrekorder hörte. Er musste es ja wissen, schließlich hatte er zuerst jahrelang die Blockflöte perfektioniert, bevor er sich ans Saxophon wagte, ganz vorsichtig, versteht sich. Ein Kollege von ihm meinte auch, dass Sade Adu den Untergang des Jazz herbeiführen würde, weil sie Pop und Jazz verband. Das wäre eine Frechheit gegenüber all den Musiker:innen, die jahrelang geübt hatten und keine Gigs bekamen.
Fast jede neue Technologie, jede neue Methode, wird im Musiksektor zunächst als Betrug wahrgenommen – historisch gesehen war das fast immer ein Irrtum.

Unmittelbar verursacht die Revolution durch das Auftreten der KI in der Musik  aber erstmal ökonomischen Schaden – der größte davon trifft die große Mittelschicht der professionellen Musiker:innen. Und das passiert jetzt, siehe TV-Spots und YouTube Ads mit KI-generiertem Bild und Ton, produziert mit nur einem Bruchteil des Budgets, das es noch vor wenigen Monaten gekostet hätte.  Wer jetzt noch unzählige Stunden in das Erlernen eines Instruments steckt, sollte dabei auch mit bedenken, dass der Weg eventuell nicht auf Bühnen oder in Studios führt, sondern vor das Interface eines KI-Musikprogramms – denn gute KI-Musik braucht auch gute Prompter. Wer kein gutes musikalisches Verständnis hat, wird wohl auch mit KI keine gute Musik produzieren – und das gilt für gut ausgebildete genauso wie für intuitiv arbeitende Musiker:innen. Im Zeitalter omnipräsenter Digital Audio Workstations ist es schon längst an der Zeit, den Begriff „Musikschaffende“ neu zu denken.

Für Neo-Musiker:innen oder KI-Musikproduzenten oder Prompter:innen oder was auch immer sich begrifflich durchsetzen wird, tut sich ein neuer, sehr schneller und instabiler Markt auf, mit vielen Rollen und Möglichkeiten. Vom KI-gestützten Komponieren neuer Klassik und Filmmusik bis hin zu komplett künstlichen Pop-Stars und  – leider auch – komplett künstlich generierten DJ-Sets für menschliche und virtuelle Acts ist fast alles drin -inklusive Band-Fotos, knackigem  Bio-Text, Social Media Content, Marketing und PR-Plan.

Highway to the Recommendation Zone

Wer nun meint, es würde nur noch der/die virtuelle Hörer:in fehlen – die gibt’s schon. Die hören sich an, was Hörer:innen wirklich hören und sammeln diese Daten. So kann es aber auch sein, dass ein KI Hörer einer KI-Playlist zuhört. Im Extremfall entsteht dann ein Kreislauf, in dem mit KI produzierte Musik primär von KI Hörern gehört wird und beide Parteien sich laufend optimieren, mit nur wenig oder keiner menschlichen Interaktion. Schad um den Strom! Vergleichbar mit dem Trend, Texte SEO-optimiert von KI schreiben zu lassen, die dann überwiegend von Google-Bots gelesen werden.

Abseits dieses zirkulären KI-Unfugs könnte sich neben den etablierten Stars des Business eine neue Kategorie bilden: der Star-Prompter, eine neue Kulturfigur. Ein Meta-Star, der seine Prominenz aus dem Erschaffen und Verwalten virtueller Acts bezieht, die nur unter seinem Kuratel funktionieren. Identitätsstiftende Artist-Figuren werden einem starken Wandel unterworfen sein und nicht mehr alle werden aus Fleisch und Blut bestehen.

Rage with the machine

Besonders hart trifft die Entwicklung alle, die mit Sync Rights und Sound Design arbeiten. Musik, die nicht die Hauptrolle spielt und sowieso im Hintergrund läuft, in Werbespots, in Restaurants, aber auch  in Filmen und Serien: Wozu sollte man diese teuer lizensieren oder produzieren lassen, wenn man dafür die digitale Dose in wenigen Handgriffen ähnliche Ergebnisse liefert, ohne die ganze Mühe? Sogar die bereits vorhandenen Libraries werden überflüssig, wenn so ganz nebenbei eigenständiger Sound aus dem Rechner gepresst werden kann, unaufwändig und supergünstig.
Für die Hersteller von Produktions-Software und Sound Libraries brechen besonders bittere Zeiten an: die x-te Streicher-Library wird sich nicht mehr verkaufen lassen, außer man ist sehr kreativ und trainiert die KI mit den Daten längst verstorbener, mythischer Stars oder hat noch bessere Ideen. Und warum sollte das ein geneigter Käufer eigentlich nicht gleich selber machen und sich jeden Tag ein neues Album von den Beatles basteln lassen? Welche moralischen und urheberrechtlichen Probleme tun sich da eigentlich auf?

Auch für jene, die den Klang bisher technisch mitgebaut hatten, erfolgt ein Umbruch: Tontechniker:innen, Recording-Engineers, Studio-Betreiber und all jene für Hörer:innen unsichtbaren Fachkräfte, die mit Mikrofonwahl und -Platzierung, Akustik, Mixing und Mastering den entscheidenden Feinschliff liefern und die Recordings erst zu dem machen, was es final sein wird. Vieles, was früher Studien, jahrelange Erfahrung und teures Equipment brauchte, kann mittels KI deutlich schneller und billiger synthetisch konstruiert werden – sogar inklusive bestimmter Stile, Fehlern und Eigenheiten. Bevor hier ein Handwerk verloren geht, wird es sich aber eher in Richtung Sound Supervision und neuer, integrierter Produktion verschieben – wünscht man den Kolleg:innen auf jeden Fall.

AI will survive

Als etwas kurioser Begleitfaktor wird auch Regionalität wieder relevant: die Vorlieben und Geschmäcker werden zumindest in der Anfangsphase noch menschlich kuratiert werden müssen. Kulturelle Feinheiten können nur so weit in KI Musik einfließen, wenn sie entsprechende Trainingsdaten hat. Ob eine mit überwiegend deutschen Daten gefütterte KI optimalen K-Pop fabriziert, ist eher fraglich. Es wird nicht nur musikalisches, sondern auch politisches Gespür brauchen, um Musik und Regionen optimal produzieren – sorry, prompten – zu können. Zumindest so lange,  bis KI das alles gelernt hat.

Während sich die Produktion von Musik aus einem chaotischen Neuanfang heraus neu sortiert, in einem fahrenden Zug, ohne Dach, mit brennendem  Triebwerk, stellt sich eine viel größere Frage: Wer wird all diese neuen Klänge eigentlich hören – und was macht das mit dem Publikum, das schon längst von Algorithmen geprägt ist?

 

Michael Lachsteiner – Textundpr.at 

 

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