KI in der Musik, Teil 2: Konsum – Klassenkampf im Gehörgang
KI in der Musik, Teil 2: Konsum – Klassenkampf im Gehörgang
Der blitzartige Einzug von KI in die Musik birgt für die Musikproduktion enorme Herausforderungen, aber auch der Konsum stellt sich drastisch um. Ist Pop und Rock, wie wir sie seit bald 100 Jahren kennen, nun tot? Eher nicht. Dass sich alles ändern wird, ist aber offensichtlich.
„Was hörst du so?“ – „Spotify.“
Ein echtes Gespräch, das ich immer öfter höre. Algorithmen, einmal auf die User eingependelt, füttern diese mit ständig neuem Material. Wer oder was gerade spielt, interessiert kaum noch: Velvet Sundown? Velvet Underground? Who cares. Musik wird über Mood und Style konsumiert, der Algorithmus dirigiert die Playlist. Bald könnten nur noch wenige Werke aus natürlicher Intelligenz darin sein. Kaum jemand kann aktuell noch unterscheiden, welche Songs von natürlicher und welche von künstlicher Intelligenz stammen. Und wie viele wollen das eigentlich noch?
Plattformen wie Spotify werden aktuell mit KI-Musik geflutet, aus den verschiedensten Quellen, und über die weitere Entwicklung kann man nur spekulieren. Wie relevant für Hörer:innen ist eine Playlist mit rein virtuellen Künstlern, zu denen es maximal ein paar gepromptete Bandfotos gibt, aber kein Leben, keine Eskapaden, kein Gossip, keine Backstory und keine Entwicklung? Wie soll man mitleiden oder sogar daran wachsen, wenn hinter einer Ballade nur das Schema steckt, aber nicht die echte Erfahrung der erzählten Geschichte? Dass auch hinter KI-Musik Menschen stecken, ist klar – aber sie fungieren eher als Guides und Directors verschiedener Emotionsskalen. Diese könnten schon bald vom User selbst und live während des Hörens verändert werden: Die Country-Sängerin darf ruhig etwas trauriger klingen, der Metal-Shouter ein wenig härter und der Pop-Song ein wenig lustiger oder düsterer – die Möglichkeiten sind schier endlos.
Comes the new boss, same as the old boss
Seit der Einführung des Tonträgers vor über 100 Jahren hat der Musikmarkt viele neue Formate hervorgebracht, aber wohl kein anderes hat eine derartige Marktdurchdringung erreicht wie das Streaming – nicht zuletzt durch omnipräsente Smartphones, die seit etwa 20 Jahren auch über tadellose Musikfunktionen verfügen.
Ist es nun zulässig, KI in der Musik einfach als weitere Revolution zu sehen? Die Auswirkungen aller bisherigen Umwälzungen wie die des Tonträgers in mehreren Varianten, der Digitalisierung durch MP3 und des ubiquitären Streaming waren anfangs auch schwer einschätzbar. Vieles hat sich verändert, immer wieder, aber der Musikwirtschaft geht es nach wie vor ganz gut. Und die Hörer:innen sind ebenfalls zufrieden.
Klassenkampf im Gehörgang
Neu ist aber eine relativ wahrscheinliche Aufteilung der Hörer:innen nach Klassen. Jene, die sich nur wenig leisten können oder wollen, werden vermutlich nur noch KI-Musik im jederzeit verfügbaren Stream hören. Kaufkräftigere und engagiertere Hörer:innen werden häufiger zu Live-Gigs gehen und sich liebevoll gestaltete physische Tonträger mit Musik richtiger Menschen zulegen. Die Spitze der Einkommens-Pyramide gefällt sich womöglich in VIP-Events und im Sammeln streng limitierter Sammler- und Designer-Editionen.
Mutanten-Mucke für die Massen
So wie sich Mode, Mobilität und Ernährung in die Segmente Billig, Mittelklasse und Premium gliedern, wird der Musiksektor folgen – Mutanten-Mucke für die Massen, Indie Gigs für die Mittelklasse und Glamour für die High Flyer. Das Massenphänomen Pop-Musik könnte Risse bekommen. Die größte und wichtigste Zielgruppe ist aber sicher die erste und diese könnte sich schon bald in einem Sound- & Mood-Nirvana aufhalten, in dem sie nur noch schwer für echte Künstler erreichbar sein wird.
Es entstehen dadurch auch drei Lager von Interpreten: eine überwiegende Anzahl von KI-Acts, ein Mittelstück aus echten Künstlern, tendenziell Independents, und die weiterhin agierenden internationalen Überstars – letztere wohl auch später weiter aufgeteilt in echte und virtuelle Acts.
Ein eventuelles viertes Lages könnte sich an der Schnittstelle von Hörer:innen und Musikschaffenden finden – User:innen, die ihre eigene Musik mit Suno oder ähnlichem selbst produzieren. Diese Bedroom-Producer 2.0 werden womöglich auch eigene Communities bilden, denn ganz ohne Hörer abseits der Creators wird Musik höchstwahrscheinlich nicht funktionieren.
Wir funktionieren Automatik
Jetzt wollen wir tanzen Mechanik
Wenn die KI neben der Musik auch das komplette Vermarktungs- und Vertriebspaket, also die komplette Identität eines Acts liefert, stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Projekte für alle Beteiligten. Artist Development wird sich bei KI-Acts kaum auszahlen – eine Biografie hat ein virtueller Country-Sänger nicht. Und wenn, dann wirkt sie eher komisch.
Sind KI-Hits reine Novelty oder wird im Zeitalter der alternativen Fakten auch der alternative, virtuelle Künstler eine große Sache sein? Wer sich sein Weltbild zusammengooglet, könnte eventuell auch gern glauben, dass ein virtueller Künstler eigentlich echt ist. Der identitätstiftende Aspekt der Musik könnte so einen eher ungewollten, sozial heiklen, Klassenunterschied betonen. Vielleicht ist die eigentliche Revolution der KI-Musik, dass nicht mehr wir die Musik auswählen, sondern die Musik uns.
Michael Lachsteiner – Textundpr.at
